Schüler leben Inklusion

Zeichen setzen

Schüler leben Inklusion – Zeichen setzen

Egal unter welchen Begleitumständen Menschen zusammenkommen – letztlich geht es darum, wie sich diese Menschen begegnen und wie offen sie miteinander umgehen. Der Arbeitskreis ‚Zeichen setzen’, den einige Schülerinnen und Schüler am Gymnasium Gars ins Leben gerufen haben, sucht die Begegnung mit Schülerinnen und Schülern der Partnerschule aus dem benachbarten Ort Au. In Au steht ein Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt für geistige Entwicklung. Es werden dort geistig oder mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche unterrichtet. Die Mitglieder des AK ‚Zeichen setzen’ betreuen die Schülerinnen und Schüler bei unterschiedlichen Begegnungen wie einem gemeinsamen Unterricht oder auch neben der normalen Schulzeit als Freizeitbegleiter. Die Schüler leben die viel zitierte Inklusion von geistig und körperlich beeinträchtigten Altersgenossen sozusagen aus eigenem Antrieb und in eigener Initiative. Intro 1. Der gemeinsame Unterricht Dienstagmorgen im Förderzentrum im Franziskushaus in Au. Die Kinder, Lehrer und Betreuer machen sich fertig für eine gemeinsame Schulstunde mit Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums Gars. Diese Sportstunde hat der Arbeitskreis ‚Zeichen setzen’ zusammen mit den Sportlehrern vorbereitet. O-Ton Robert Paustian: »Ich glaube, das Profitieren ist vor allem hinsichtlich der sozialen Kontakte. Das ist auch für mich so einer der Grundpfeiler oder Zielrichtungen des Freizeitbegleiterprojekts: Dass Kontakte geschaffen werden, die so im Alltag höchstwahrscheinlich nicht zustande kommen würden. Um eben Berührungsängste abzubauen und in diesem sozialen Miteinander von den Stärken des jeweils anderen zu profitieren und einfach ein bisschen sensibler zu werden für sein Gegenüber. Und um sich auf sein Gegenüber auch einlassen zu können. Das ist eine Aufgabe, die gleichermaßen schwierig ist für die Freizeitbegleiter aus dem Gymnasium und auch meine Schüler. Und so kann jeder profitieren, weil er mit seiner Persönlichkeit reingeht in die Stunde und dann dementsprechend auf sein Gegenüber reagiert. Das ist, glaube ich, so der Hauptpunkt.« O-Ton Tami, Schülerin aus Au: »Nee, das ist die Seite, da wohne ich.« O-Ton Raphaela: »Es ist wichtig, zu merken, dass es nicht nur uns gibt, denen es gut geht, dass wir unser Leben so leben können, wie wir es leben, sondern, dass es eben auch andere gibt, die das nicht haben. Und einfach denen zu helfen und zu zeigen: ‚Hey, wir sind für euch da, auch wenn ihr vielleicht nicht die gleichen Bedingungen habt, wir sind für euch da, wir helfen euch.‘ Und ich glaube, dass es wichtig ist, dieses Bewusstsein zu entwickeln: Ich passe mich an meine Umgebung an, ich helfe auch meiner Umgebung. Ich glaube, das ist ziemlich wichtig. Wenn man das von ‚klein auf‘ mitbekommt, dann behält man das auch, dann behält man, dass man sagt, ‚ich helfe jemandem‘, auch im Erwachsenenalter. Dann macht man auch eine Gruppe und hilft auch wieder Menschen. Es sind ja kleine Gesten, man muss ja nicht einmal eine große Aktion planen, aber einfach eine kleine Geste: Ich zeige jemandem, dass er mir wichtig ist.« O-Ton Hannah: »Also in der Vorbereitung muss man vor allem aufpassen, wie schwer die Behinderungen sind von den Kindern oder Jugend-lichen, die dann mitkommen oder mitmachen wollen. Also, wenn jetzt jemand mit einem Rollstuhl dabei ist, dann muss man darauf achten, dass der dann auch etwas zu tun hat und nicht irgendwie ausgegrenzt wird. Sicherheit ist ein großer Faktor, auf den man achten muss. Und dass es natürlich abwechslungsreich ist. In der Vorbereitung haben wir uns zusammengesetzt und uns überlegt: ‚Was ist mit uns? Was würde uns, wenn wir jetzt in dem Alter und der Situation sind, Spaß machen? Was ist interessant, was kommt uns gut vor?‘ Das haben wir versucht, umzusetzen.« O-Ton Raphaela: »Schön, dass ihr alle da seid – auch noch einmal an die Schüler aus Au und an die 5a. Wir werden jetzt schnell noch ein Kennenlernspiel machen, damit ihr euch alle gegenseitig kennenlernt – und wie ihr heißt und so ... « O-Ton Lena: »Also, ich bin Lena, ich bin zehn Jahre alt und ich gehe in die 5a und ich reite gerne und spiele gerne Volleyball.« O-Ton Tami: »Tami.« O-Ton Raphaela: »Was machst du gerne?« O-Ton Tami: »Bin gerne in meinem Bett. Ich reite.« O-Ton Raphaela: »Wie alt bist du, Tami?« O-Ton Tami: »Zehn.« O-Ton Raphaela: »Wir haben davon, dass die jüngeren Schüler – wir machen das ja oft mit fünften Klassen – dass die sehen, dass die behinderten Menschen wie wir sind und genauso Spaß an Sport und Spielen haben. Sie lernen den Umgang: ‚Wie stelle ich mich darauf ein, dass der andere manche Sachen vielleicht nicht machen kann, wie ich es kann?‘ Und: ‚Wie gehe ich damit um?‘ Einfach insgesamt, dass sie einmal Kontakt mit den anderen Schülern aufbauen und sich einfach mal mit denen austauschen. Wie ist das?« O-Ton Matthias: »Also wir lesen euch einfach die richtigen Lösungen vor und ihr zählt einfach, wie viele ihr von den 25 Nummern richtig habt. Und derjenige, der die meisten Zahlen richtig hat, hat gewonnen.« O-Ton Bettina Harnischmacher: »Ich bin dafür, dass man so individuell wie möglich auf die Bedürfnisse, auf die Begabungen, auf die Schwächen und auf die Interessen der Einzelnen eingehen soll. Von daher leben wir auch nicht Inklusion, sondern wir versuchen genau das: jedem auf seine Art gerecht zu werden. Aber wir stecken unsere Energie und unser Herzblut rein, uns zu begegnen, uns vorurteilsfrei zu begegnen. Und wenn man das so sieht, wenn man sagt: ‚Was ist meine Einstellung, wie sehe ich es für mich allein?‘ Dann kann ich sagen, wir leben Inklusion – jeder Einzelne.« 2. Die Freizeitbegleiter O-Ton Raphaela: »Wir bilden bei uns Freizeitbegleiter aus. Und zwar sind das Jugendliche, die normalerweise 14 Jahre alt sind. Die durchlaufen eine bestimmte Ausbildung, um dann letzten Endes gemeinsam mit den Jugendlichen aus Au Projekte in der Freizeit zu machen. Einfach Freizeit gemeinsam zu verbringen, zum Beispiel ins Kino gehen oder in den Zoo zu fahren oder so ... Das Ganze fängt an mit einer Hospitation in Au, wo man sich einfach mal in den Unterricht mit reinsetzt und sich mit ansieht: ‚Wie läuft das bei denen so in der Schule ab? Was sind die Unterschiede zu unserer Schule?‘ Zum Beispiel sind die Klassen wesentlich kleiner, da sind normalerweise höchstens zehn Kinder in einer Klasse ... « O-Ton Robert Paustian: »Wo ist denn auch noch jemand bei uns hier im Klassenzimmer ...? Wir wollen uns gegenseitig ganz kurz kennenlernen. Damit wir wissen, wer uns denn heute besucht im Klassenzimmer. Damit wir einmal die Namen hören. Setzen wir uns einfach hinten zusammen in unseren Kreis.« O-Ton Hannah: »Erst einmal so der erste Kontakt. So ins Gespräch zu kommen. Wir waren ja am Anfang im Unterricht in einem ganz normalen Klassenzimmer und haben uns da mal dazugesetzt. Und dann erst einmal den Mut aufzubringen, sie anzusprechen oder mal zu fragen, was sie so machen oder so etwas. Also das war die größte Überwindung und dann war es auch manchmal schwierig, wenn sie dann nicht gleich geantwortet haben oder nur wortkarg waren. Dann fragt man sich schon: ‚Hat man jetzt alles richtig gemacht?‘ Aber man muss halt erst warm werden ... das war dann so die Phase, die am schwierigsten war. « O-Ton Robert Paustian: »Also ich finde das wahnsinnig beeindruckend, wie viel Initiative die Leute vom AK ‚Zeichen setzen‘ an den Tag legen, mit wie viel Engagement und Hingabe sie diese zusätzliche Arbeit leisten, die es ja einfach ist. Also sie haben ihre Prüfungen wie alle anderen Schüler auch – und ihren Stress mit dem Unterrichtsalltag ... und nehmen sich dann aber eben trotzdem noch die Zeit und die Kraft, so viele andere Projekte zum Laufen zu bringen. Das ist schon echt beeindruckend, da ziehe ich den Hut vor.« 3. Die gemeinsamen Freizeitaktionen O-Ton Raphaela: »Die Eltern von den Schülern aus Au haben unsere Telefonnummern und E-Mail-Adressen und die melden sich dann bei uns und fragen: ‘Meine Tochter oder mein Sohn kennt dich – hättest du nicht Lust, mitzukommen? Willst du nicht mit ihm oder ihr etwas machen?‘ Zum Beispiel: ‘Sie würde gerne ins Kino gehen und sich den und den Film anschauen …‘ und ‘… wann würde es denn bei dir gehen?‘ So läuft das ab und dann trifft man sich halt da und macht dann eben gemeinsam irgendwie etwas.« O-Ton Raphaela: »Ja, man muss sich natürlich individuell auf jeden einlassen. Also, es gibt welche, bei denen muss alles gleich sein und wenn irgendetwas, das kleinste Detail nur anders ist als normal, bringt das sie sofort aus der Ruhe und lässt sie wütend werden. Und deswegen … darauf muss man sich immer einstellen – vorher. Also ich zum Beispiel mache das immer so, dass ich vorher mich z. B. mit Herrn Paustian abspreche und frage: ‘Gibt es irgendwelche Tipps? Wie reagiert der? Was genau ist bei dem die Behinderung?‘ Und: ‘Wie gehe ich damit um, wenn ich jetzt denjenigen noch nicht so gut kenne? Zum Beispiel aus dem Unterricht oder so …‘ « 4. Party Mehrmals im Jahr veranstalten die Schülerinnen und Schüler des AK ‚Zeichen setzen‘ in dem Schulgebäude eine Party, zu der sie die Schüler aus Au einladen. Nachdem im Vorfeld organisatorische Dinge wie Raumbelegung, die Terminabsprache mit den Eltern der behinderten Kinder und vieles mehr geregelt wurden, werden am Tag der Party gemeinsam mit der betreuenden Lehrerin die letzten Vorbereitungen getroffen. O-Ton Matthias: »Am Tag selber treffen wir uns schon vorher und bauen den Raum auf, also schmücken den. Wir bauen das Buffet auf, suchen vielleicht auch noch die Musik aus und begleiten dann die Auer Schüler vom Parkplatz bis in den Partykeller.« O-Ton Hannah: »… ich denke, einfach ein bisschen Abwechslung. Die sind ja doch immer unter ihresgleichen, wenn man das jetzt so ausdrücken kann. Und dann einfach so integriert zu werden – was ja auch unser Ziel ist vom AK ‚Zeichen setzen‘: Die Leute zu integrieren – und Aktionen durchzuführen, wie jetzt die Partys, die wir regelmäßig machen … Einfach da mal rauszukommen und ganz normale Jugendliche und Kinder zu sein.« O-Ton Matthias: »Party ist Party. Und ob das jetzt mit den Schülern aus Au ist oder mit anderen Schülern – das macht dann eigentlich während der Party selber keinen Unterschied. Natürlich muss man auch ein bisschen auf die Bedürfnisse der Behinderten eingehen, das ist klar. Dass man das halt schon relativ früh am Abend macht, also von fünf bis sieben und nicht später, aber … Party machen kann, glaube ich, jeder!« O-Ton Claudia Pietruszka: »Kannst du dich erinnern an die erste Party, die wir gemeinsam gemacht haben? Da war ein Christoph dabei; der saß nur in seinem Rollstuhl und ich habe erst gedacht: ‘Naja, der kann doch keinen Spaß haben.‘ Und dann zu sehen, dass der einfach Spaß daran hat, dass die Lichter blinken oder dass dann jemand zu ihm kommt und dann hat man schon an den Augen gesehen: ‚Mensch, jetzt tut sich da was‘ – oder an den Mundwinkeln. Und hinterher kamen dann die Eltern und haben gesagt: ‘Das war seine erste Party‘ – er war 16 – ‘die erste Party, die er alleine besucht hat.‘ Und da denke ich: ‚Mensch, da ist doch einiges mehr drin, als man so immer denkt.‘ « O-Ton Raphaela: »Ich glaube, sie nehmen mit, dass sie willkommen sind und genau Jugendliche sind wie wir und dass sie Zeit mit uns verbringen und dass sie einfach auch mal eingeladen werden. Weil das ja leider ein bisschen das Problem ist … dass sie eben nicht oft auf eine Party eingeladen werden, einfach, weil sie irgendwie diese Außenseiterrolle haben. Und da merken sie: ‘Ja hey, ihr seid willkommen. Wir wollen mit euch Zeit verbringen, wir wollen zusammen feiern, wir wollen zusammen Spaß haben.‘ Und … einfach das Ganze …« 5. Preis der UNICEF Im Sommer 2014 wurde der AK ‚Zeichen setzen‘ von der UNICEF nach Frankfurt eingeladen. Dort wurden Jugendgruppen für ihren Einsatz beim Kampf für die Kinderrechte ausgezeichnet. O-Ton Raphaela »Wir waren erst einmal total aufgeregt, als wir diesen Brief bekommen haben. Schon, dass wir da überhaupt hinfahren dürfen. Wir haben uns einfach nur super gefreut und da drinnen, in der Paulskirche – ich meine, was ist das für ein wichtiger Ort, auch für die deutsche Geschichte, weil darin das erste Parlament war. Es ist ein geschichtsträchtiger Ort und es ist ein Ort, wenn man reingeht, da überkommt einen schon das Gefühl irgendwie … dass das, was man macht, richtig ist. Und dass man so viele Menschen sieht, die auch eben in die Richtung arbeiten, die auch helfen wollen, einfach neue Kontakte zu knüpfen …« O-Ton Moderator: »… also, es ist eine Aktion, die sich jetzt durchgesetzt hat. Die haben einfach die meisten Klicks bekommen, die meisten Votes und das Ganze geht an: DIE AKTION ‚ZEICHEN SETZEN‘! Und die bitte ich jetzt hier nach vorne. Das ist doch mal ein Gewinnerjubel hier drüben! Der Preis geht an die Schüler und Schülerinnen des Gymnasiums Gars am Inn und an das Förderzentrum …« O-Ton Hannah: »Ja, die Erwartung war jetzt nicht, dass wir gewinnen, weil unsere Leiterin uns das ja nicht verraten hat. Und dann kam halt tatsächlich dieser Online-Publikumspreis, der ja noch ausstand, wo wir wussten, wir hätten vielleicht eine kleine Chance. Also, das war wirklich überwältigend.« O-Ton Moderator: » … bitte einen kurzen Satz zu eurem Projekt.« O-Ton Raphaela: »Gerne. Wir setzen uns praktisch alle für das Kinderrecht … ich bin so sprachlos. Wir haben echt nicht damit gerechnet. Wir setzen uns dafür ein, dass Behinderte und Nichtbehinderte zusammen etwas in der Freizeit machen …« O-Ton Raphaela: »Ich habe den Moment einfach total genossen, auch wenn ich im ersten Moment sehr sprachlos war und nicht wusste, was ich jetzt sagen sollte, mich auch erst einmal verhaspelt habe. Aber es hat einfach so viel Spaß gemacht, auf jeden Fall, und den Livestream habe ich mir auch, glaube ich, drei-, viermal wieder angesehen, einfach, weil es so eine schöne Erinnerung ist und das Gefühl, oben auf der Bühne zu stehen, vor so vielen Leuten und zu sagen: ‘Hey, das machen wir und das ist mein Teil, was ich tue und das macht mir so viel Spaß.‘ Das war einfach so Hammer, das Gefühl werde ich nicht vergessen. Das war auf jeden Fall etwas total Einzigartiges.«